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Die Subtypen und wie man sie besser verstehen kann

Veröffentlicht von Peter Maurer (maurer) am Nov 16 2016
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Mögliche Ursachen für Widersprüche und Fehltypisierung - Von Mario Sikora (ehem. Präsident der IEA International Enneagram Association)

„Zuerst ist da ein Berg, dann ist da kein Berg, und dann ist er da.“ (There is a mountain, Donovan)


Die Zen-Parabel, die der Sänger Donovan in seinem Lied umschreibt, beleuchtet die Tatsache, dass eine Sache zu Beginn unserer Forschungen trügerisch einfach scheinen kann, sie aber immer komplizierter wird, wenn wir auf dem Weg der Entdeckung sind.


Nehmen wir als Beispiel das Enneagramm – es wirkt zunächst einfach: Neun Arten von Menschen: Mary ist eindeutig eine FÜNF, John selbstverständlich eine ZWEI, Todd ist eine SECHS … Schauen wir jedoch genauer hin, werden die Dinge komplexer; wir verlieren den Berg aus dem Blick, wenn wir auf halber Höhe angelangt sind. Beim Enneagramm sehen wir dann auf einmal Dinge, die anscheinend keinen Sinn ergeben. Mary kann doch nicht so einfach eingeordnet werden, und so gehen wir vielleicht in die Falle und finden vielfältige Erklärungen für unsere anfänglichen Einschätzungen, oder wir kehren dem offensichtlich ungenauen und unzureichenden Enneagramm den Rücken. Wenn wir hingegen beharrlich daran arbeiten, das System besser zu verstehen, werden wir langsam auch seine Nuancen und Feinheiten erkennen. Mit der Zeit wird der Berg wieder zu einem Berg.


In einem Artikel auf meiner Web-Seite schreibe ich über die Widersprüche die innerhalb der Ennea-Typen zu finden sind; dieser Artikel hier stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie das Verhalten bestimmter Subtypen so widersprüchlich erscheinen kann, und wie ein unzureichendes Verständnis der Subtypen zu Fehltypisierung führen kann. Menschen sind von Natur aus widersprüchlich und kompliziert, und ein Instrument wie das Enneagramm kann dazu verführen, Menschen in Stereotypen zu fassen. Unser Wunsch bereits Erkanntes zu bestätigen kann uns glauben machen, dass eine ACHT immer so agieren wird und eine SIEBEN immer so, aber im richtigen Leben macht kein Mensch die Dinge immer so und / oder so. Trotzdem ist das widersprüchliche Verhalten, das wir bei Menschen wahrnehmen nicht einfach beliebig; es entspringt dem Zusammenspiel von erkennbaren Dynamiken.
Ein Verständnis für dieses Zusammenspiel kann uns helfen, unsere gewohnten, festgefahrenen Muster leichter zu erkennen und damit die Arbeit an unserer persönlichen Entwicklung in hohem Maße fördern.


Man kann das Enneagramm auf zweierlei Weise betrachten:

Aus dem essentialistischen Blickwinkel, der besagt, dass die Ennea-Typen auf eine prä-existente oder vorherbestimmte archetypische Kraft festgelegt sind, die außerhalb von uns existiert. Oder aus einer eher dynamischen Perspektive, die den Ennea-Typen als künstliches Konstrukt sieht, das dazu dienen soll, die in uns wirksamen Dynamiken zu erkennen und zu ordnen.

Der essentialistische Ansatz gründet auf ein vor-darwinistisches Verständnis der Welt, als die Menschen noch an die Unveränderlichkeit der verschiedenen Spezies glaubten: Giraffen waren schon immer Giraffen und Zebras schon immer Zebras gewesen. Moderne Biologen jedoch sind zur Annahme gelangt, dass der Begriff der „Spezies“ lediglich ein hilfreiches – aber eben künstliches – Konstrukt darstellt; jedes Lebewesen befindet sich irgendwo auf einem Kontinuum miteinander verwandter Cousins, und es gibt keine eindeutigen Regeln, die festlegen, was ein Zebra oder was eine Giraffe genau ist. Und noch viel weniger gibt es allgemeingültige Regeln, die genau besagen, wann das erste Zebra als „ein Zebra“ eingestuft wurde und nicht länger als die Spezies, die auf dem evolutionären Zeitstrahl direkt vor ihm rangierte.

Und dennoch erkennen wir auf den ersten Blick, dass Zebras und Giraffen unterschiedliche Wesen sind. Die Bezeichnungen, mit denen wir sie versehen, beziehen sich weniger auf ihre Wesensart, sondern sind eine bequeme Ordnungshilfe, die wir für Lebewesen nutzen, die ähnlich aussehen.

Mit dem Enneagramm ist es dasselbe: nicht alle VertreterInnen eines Ennea-Typen oder Subtypen werden vollkommen gleich sein, und bisher hat noch niemand die endgültige „Essenz“ eines der Typen genau bestimmt. All das mag für das vorliegende Thema vielleicht nebensächlich erscheinen, aber es ist tatsächlich eine recht wichtige Unterscheidung, wenn man über die Ennea-Typen und Subtypen nachdenkt, denn die Leute stecken sie liebend gerne in streng definierte Kategorien und Schubladen. In gewisser Weise sind wir geneigt, sie zu verdinglichen, damit das Abstrakte konkreter oder greifbarer wird.

Ich bin der Ansicht, dass Menschen komplizierte Wesen sind, die dazu neigen gewohnheitsmäßig wiedererkennbare Muster oder Dynamiken auszuleben, und dies auf statistisch bedeutsame Weise, aber dass es nichts hinter dem Individuum und seiner / ihrer Interaktionen mit der Umwelt gibt, das diese Dynamik verursacht oder begrenzt. Mit anderen Worten: Ich bin nicht deshalb eine ACHT im Enneagramm, weil sich in mir eine essentielle archetypische „ACHTER-Energie“ manifestiert, die irgendwo da draußen im Universum existiert; sondern man kann mich deshalb eine enneatypische ACHT nennen, weil ich für gewöhnlich Muster und Dynamiken ausagiere, die wir der ACHT zugeordnet haben.

Diese Unterscheidung ist wichtig, denn wenn wir im Sinne von Archetypen und Essenzen denken anstelle von lebendiger Dynamik, übersehen wir leicht die Feinheiten und Widersprüchlichkeiten innerhalb der Ennea-Typen und stolpern weiter über die Hindernisse, die wir nicht sehen wollen.

Für mich gründen die Ennea-Typen auf bevorzugten Strategien, d.h. die Art zu fühlen, denken und handeln, die sich in einem bestimmten anpassungsfähigen Muster verorten lässt. Jeder von uns ist „bestrebt, auf eine gewisse Weise zu fühlen“, für die ZWEI wäre das verbunden, für die FÜNF losgelöst, usw. Dieses Bestreben nährt das Schema an der Wurzel unseres Ennea-Typen. Wenn nun die Strategien ein Weg sind zu bekommen, was wir wollen, dann sind es unsere instinktiven Neigungen, die dem, was wir wollen, überhaupt erst Gestalt verleihen. So gut wie alle unsere menschlichen Bedürfnisse lassen sich in drei große Instinkt-Bereiche einordnen: es geht um Bewahren/Erhalten, um Lenken/Steuern und um Kontaktaufnahme/Kontaktpflege (s. Anm.). Das Enneagramm lehrt uns, dass wir alle gewohnheitsmäßig und unbewusst eine der Strategien bevorzugen, und genauso sind wir einer der Instinkt-Kategorien oder -Bereiche besonders zugeneigt.

Und somit sind zwei grundlegende Dynamiken am Werk: die drei Instinkt-Neigungen und die neun Strategien. Das Zusammenspiel der drei Instinkt-Neigungen und den neun bevorzugten Strategien ergibt 27 Subtypen, 27 einzigartige Muster eines Wechselspiels dieser beiden grundlegenden Dynamiken.

Durch dieses Wechselspiel zwischen den beiden Dynamiken, ist es unter Umständen schwierig zu erkennen, wo die eine beginnt und die andere endet. Manchmal ähneln die Dynamiken einander; ein anderes Mal sind sie grundverschieden. Wo sie sich unterscheiden, sehen wir mehr an widersprüchlichem Verhalten; wenn sie einander ähnlich sind, weniger. Dieses Zusammenspiel kann auch zu Verwechslung im Blick auf den Ennea-Typen führen, so dass Menschen dem falschen Ennea-Typen oder Subtypen zugeordnet werden, weil man das subtile Zusammenspiel von Strategie und Instinkt-Neigung nicht begreift. So bringt die bewahrende Instinkt-Neigung einen Fokus auf Details, Prozesse und persönlichen Konservativismus mit sich: Erhaltung von Ressourcen, Vermeidung von Risiken, etc. (dieser persönliche Konservativismus darf aber nicht mit politischem Konservativismus verwechselt werden). Die kontaktorientierte Instinkt-Neigung wiederum führt zu einem völlig unterschiedlichen Verhalten, wie Extrovertiert-Sein, Risikobereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit. (Das sind in gewisser Weise erneut Generalisierungen, denn auch innerhalb einer bestimmten Instinkt-Neigung gibt es Widersprüchlichkeiten, auf die ich im Laufe des Artikels noch eingehen werde.)
Die Strategie einer FÜNF mit dem Streben nach Distanz, trägt in sich ein Element von Introversion und Vorsicht. Eine bewahrende FÜNF ist ein Mensch mit der vorherrschenden Dynamik des bewahrenden Instinkts und der Strategie, die auf die Schaffung von Distanz zielt. Das bewirkt eine „doppelte Portion“ von Introversion und persönlichem Konservativismus, weil Strategie und Instinkt-Neigung ähnlich sind. Das sind die „typischen“ FÜNFER aus der Enneagramm-Literatur. Eine kontaktorientierte FÜNF dagegen zeigt kontrastierende und widerstreitende Dynamiken: eine durchsetzungsfähige und extrovertierte Instinkt-Neigung gepaart mit einer eher introvertierten und selbsterhaltenden Strategie. Infolgedessen erscheinen die kontaktorientieren FÜNFER oft gar nicht wie FÜNFER, oder jedenfalls sehr undeutlich: manchmal sind sie aufgeschlossen und ausdrucksfreudig, dann wieder in sich gekehrt und unnahbar. Zusätzliche Verwirrung stiftet nun noch die Lenkende FÜNF, die die Selbstgenügsamkeit einer FÜNF aufweist und die vermittelnden und anpassungsfähigen Qualitäten aus dem Lenkenden Instinkt-Feld mitbringt und somit fast wie eine NEUN wirkt.

Bei ACHTERN entsteht dagegen eine ganz andere Dynamik. Hier ist der kontaktorientierte Typ der „klassische“, weil bei ihm zwei ähnliche sich gegenseitig verstärkende Dynamiken zusammenkommen: eine doppelte Portion aus Durchsetzungskraft und Extroversion bei der Instinkt-Neigung und der Strategie (Streben nach Mächtig-Sein). Somit ist die kontaktorientierte ACHT kaum zu verwechseln. Die bewahrende ACHT ist in der Regel deutlich weniger extrovertiert, zeigt aber einen eisernen Willen, wenn es um die Kontrolle über die eigenen Ressourcen und ihre Umwelt geht. Ihr Durchsetzungswillen in diesen Bereichen macht eine Zuordnung als ACHT relativ einfach, aufgrund ihres Kontrollbedürfnisses jedoch kann sie auch wie die EINS wirken, oder – wenn sie sehr beherrscht ist – auch wie eine FÜNF. Demgegenüber sind die Lenkenden ACHTER in aller Regel am widersprüchlichsten. Die Strategie ist zwar unverblümt und direkt, die Instinkt-Neigung sorgt jedoch für einen subtileren und eher verwickelten Charakter. Lenkende ACHTER sind vermittelnd und suchen den Konsens solange sie dadurch bekommen, was sie wollen; sie können aber genauso geradeheraus und dominant sein, wenn sie meinen, dadurch ihre Ziele zu erreichen. Sie sind eher zu Kompromissen bereit und an den Ecken und Kanten meist wärmer und weicher als andere ACHTER, aber gleichzeitig auch verwirrender für Menschen, die ihre Motivation nicht so leicht verstehen. Sie werden gern mit NEUNERN oder FÜNFERN verwechselt, wenn sie sich im gelassenen Konsens-Modus befinden oder mit EINSERN, wenn sie im moralisierenden Kontrollmodus sind (schreibt eine Lenkende ACHT …).

Jeder Ennea-Typ hat vergleichbare Muster-Dynamiken innerhalb der Subtypen-Ordnung. Manchmal entspricht der Subtyp eher dem „klassischen Typ“, dann wieder gar nicht. Manche mögen diese Widersprüche damit erklären, dass ein Subtyp der „Gegensatz-Typ“ ist, aber das erscheint mir zu vereinfacht und essentialistisch. Ich bin der Ansicht, dass sich die Widersprüche besser als eine Folge der ganz besonderen Interaktion von Instinkt-Neigung und Strategie erklären lassen. Die Erkenntnis der Instinkte und Strategien ganz unabhängig voneinander und die Beobachtung, wie sie im Menschen interagieren, vertieft unser Verständnis der subtilen Dynamiken im Menschen immens. Fehltypisierungen können besser vermieden werden und wir können das widersprüchliche Verhalten bei uns selbst und bei anderen leichter erkennen. So trägt diese Erkenntnis dazu bei, dass der Berg wieder zum Berg wird.

Es gibt noch weitere Gründe für das widersprüchliche Verhalten, das wir bei den individuellen Subtypen wahrnehmen. Einige dieser Widersprüche lassen sich auf die widerstreitenden evolutionären Triebe zur Kooperation und zum Wettbewerb zurückführen. Andere Widersprüche ergeben sich dadurch, dass die „drei Instinkte“ nicht wirklich drei voneinander abgegrenzte Instinkte sind; sie sind eher drei Cluster bestehend aus miteinander verknüpften Verhaltensinstinkten oder Trieben. Alle Individuen sind auf bestimmte instinktive Triebe im jeweiligen Bereich fokussiert. Deshalb können zwei Menschen „bewahrend“ sein, dabei aber auf unterschiedliche spezifische Regionen innerhalb des bewahrenden Bereiches bezogen sein.

 

Wettbewerb und Kooperation

Im ersten Teil dieses Artikels bin ich darauf eingegangen, wie die Kombination aus Instinkt-Neigung und Strategie zu einem widersprüchlichen Charakter führen kann, wenn es darum geht jemanden zuzuordnen oder die Dynamiken der Subtypen richtig zu verstehen. In diesem zweiten Teil möchte ich eine weitere Ursache für Widersprüche ins Blickfeld rücken: die in uns widerstreitenden evolutionsbedingten Bestrebungen zu kämpfen und/oder zu kooperieren. Die Evolution lässt sich mit wenigen Worten recht einfach erklären: Gene mutieren, Individuen werden selektiert (um diese Gene weiterzugeben) und Populationen entstehen (abhängig von der Weitergabe der Mutationen).


Diejenigen Individuen, die sich erfolgreich vermehren, geben ihre Eigenschaften an ihre Nachkommen weiter; im Laufe der Zeit werden bestimmte so weitergegebene Eigenschaften zum natürlichen Wesen der Population. Der heutige Mensch ist in diesen seit Jahrmillionen andauernden Veränderungsprozess eingebunden. Zu einer erfolgreichen Reproduktion braucht es die Fähigkeit, so lange zu überleben, bis eine Fortpflanzung möglich ist. Menschen gehören zu einer sozialen Spezies und müssen für deren Gedeihen zwangsläufig die Kompetenz zur Steuerung des Zusammenlebens besitzen. Diese drei Elemente: Überleben, Fortpflanzung und Steuerung einer Gruppe bilden das Herzstück unserer Instinkt-Ausstattung. Die Evolution beim Menschen ist – auch wenn andere da anders denken mögen – nicht allein darauf ausgerichtet, für sich selbst mehr Macht und Ressourcen anzusammeln; es geht um Anpassungsfähigkeit – nämlich alles zu tun, was dazu verhilft, die Überlebenschancen innerhalb der Gruppe so zu auszuweiten, dass Fortpflanzung möglich ist. Diese Notwendigkeit zur Anpassung bedeutet, dass Mitglieder einer sozialen Spezies dann am erfolgreichsten sind, wenn sie unterschiedlichste Optionen in ihrem Verhaltensrepertoire zur Verfügung haben; und dazu gehört sowohl die Option um Ressourcen zu kämpfen wie auch die Option für das gemeinsame Wohl zusammen zu arbeiten. Der Trieb entweder zu kämpfen oder zu kooperieren ist unbewusst und ereignet sich meist unterhalb unserer Bewusstseinsebene; er kann uns leicht eine Falle stellen, wenn wir des Zusammenspiels dieser beider Triebe nicht gewahr sind. Verstehen wir aber das Wechselspiel zwischen diesen beiden Impulsen dann können wir Hindernisse im Blick auf unser persönliches Wachstum und unsere Beziehungen überwinden. Während der innere Konflikt zwischen diesen beiden Trieben viele Formen annehmen kann, möchte ich gerne einen spezifischen Widerspruch in den Blick nehmen, der in allen Instinkt-Bereichen auftritt. Während wir für unsere eigenen Widersprüchlichkeiten oft blind sind, können wir sie bei anderen leicht entdecken, und damit sind sie oft die Ursache mannigfaltiger Frustrationen im menschlichen Miteinander.


Fürsorge vs. Eigennutz

Im bewahrenden Bereich weckt der Drang zur Kooperation das Fürsorgende in uns: wir wollen die, die uns am Herzen liegen, unterstützen, beschützen und versorgen; wir wünschen den anderen wirklich das Beste. Unser Drang zum Wettbewerb wiederum macht uns selbstsüchtig, dann sind wir durchaus bereit, die eigenen Bedürfnisse nach Bequemlichkeit, Ressourcen und Sicherheit vor die der anderen zu stellen. Die Bewahrer geben dir wirklich ein Stück vom Kuchen ab, aber wenn es um das letzte Stück geht, bekämpfen sie dich; sie gönnen dir deine Bequemlichkeit solange sie ihrer eigenen nicht in die Quere kommt.

Für diese Widersprüchlichkeit und für die folgenden verwende ich Begriffe, die eine Seite des Widerspruchs positiv erscheinen lassen und die andere negativ. Damit möchte ich Verhalten von anderen, das uns frustriert, besser kenntlich machen. Werden wir von jemandem mit diesem Widerspruch konfrontiert, kann das irritierend sein, und wir bleiben durcheinander und verletzt zurück. Wenn wir anerkennen, dass dieses Verhalten aus einer unbewussten konflikthaften Verbindung resultiert, fällt es leichter es nicht persönlich zu nehmen und eher zu verzeihen. Ich möchte jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass das eine oder andere Verhalten gänzlich negativ ist. Wir brauchen ein gewisses Maß an Selbstsucht, oder zumindest Selbstfürsorge. Zu viele Menschen haben zu durchlässige Grenzen weshalb sie nicht in der Lage sind, für ihre eigenen Bedürfnisse einzutreten. Genauso kann ein Zuviel an Fürsorge als Aufdringlichkeit empfunden werden. Beide Verhaltensvarianten können sowohl gut wie schlecht sein.

Wie immer, wenn es um Verhalten geht besteht der Unterschied darin, wie angemessen es in der jeweiligen Situation ist. Bewahrer tun gut daran, diese Tendenzen bei sich zu beobachten; es ist eher wahrscheinlich, dass wir den passenden Zugang wählen, wenn wir uns der Impulse bewusst sind und mit ihnen umgehen, als wenn wir von ihnen überfallen werden. Sie sollten darauf achten und sicherstellen, dass die eigenen Bedürfnisse befriedigt werden, aber dann auch erkennen, dass die Bedürfnisse befriedigt sind, damit sie nicht unnötigerweise auf Kosten anderer ihren Eigennutz ausagieren.


Verbinden vs. Verurteilen

Im Lenkenden Bereich bewirkt der Drang zur Kooperation, dass wir mit anderen in Verbindung treten wollen. Wir wollen Freundschaften schließen und pflegen, nützliche Informationen austauschen und Netzwerke und Prozesse schaffen, durch die die Gruppe besser funktioniert. Dabei versuchen wir allerdings immer auch, den Wettbewerbsfaktor einzuschätzen und herauszufinden, wo wir in der Hierarchie der Gruppe stehen; genauso versuchen wir herauszufinden, wer eine Bedrohung darstellt und wer für die Zukunft ein Gewinn sein könnte. Die Lenkenden bringen dir zum Einzug in die Nachbarschaft einen Kuchen vorbei und beim verstohlenen Blick ins Haus urteilen sie über deine Einrichtung, wie du den Kuchen isst und wie freundlich deine Dankes-Karte formuliert ist.

Nochmal: das Beurteilen anderer ist nicht immer schlecht – wir müssen wissen, wie man Menschen einschätzt, damit wir erkennen, wem wir trauen können und wem nicht; Naivität ist keine wirkungsvolle Überlebensstrategie. Wenn wir bedingungslos Verbindungen mit jedermann eingehen, dann wird uns das überbeanspruchen, und wir werden all den Verpflichtungen, die wir anderen gegenüber eingehen, nicht gerecht werden können. Lenkende Menschen tun gut daran, ihr Bedürfnis in Verbindung zu sein und Neuigkeiten auszutauschen (z.B. Klatsch und Tratsch), zu beherrschen und zu erkennen, wann sie über andere auf unfaire oder unangemessene Weise urteilen.


Charme vs. Streben nach Aufmerksamkeit

Im kontaktorientierten Bereich ist es unser Bedürfnis nach Kooperation, das dazu führt, dass wir andere bezaubern, unterhalten und ihnen schmeicheln wollen, um damit enge Verbindungen mit begehrenswerten und interessanten Menschen einzugehen. Dabei können wir jedoch schnell in die Falle geraten uns selbst in nahezu jedem Gespräch in den Mittelpunkt zu rücken, und unsere Kompetenzen oder erstrebenswerten Qualitäten herauszukehren. Der Kontaktorientierte bringt dir den Kuchen zum Einzug in die Nachbarschaft vorbei, gratuliert dir zum schönen Haus und fängt dann an zu erzählen, wie köstlich sein Kuchen ist, was er für ein guter Koch ist und wie schön sein Haus ist.

Genau wie bei jedem Verhalten ist das Streben nach Aufmerksamkeit nicht nur schlecht; Kinder greifen oft darauf zurück um sicherzustellen, dass sie bemerkt werden, und wir alle wollen (und sollten) für unsere Leistungen gewürdigt werden. Als Coach arbeite ich oft mit Klienten, die sich weigern sich selbst anzupreisen, dann aber frustriert feststellen, wie der nicht vorhandene Wiedererkennungswert ihre Karriere behindert. Es ist vollkommen in Ordnung andere Menschen über die eigenen Kompetenzen in Kenntnis zu setzen; die Schlüssel dabei sind Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit. Kontaktorientierten tut es gut, wenn sie erkennen lernen, wann sie die Bemühungen andere zu bezaubern oder zu beeindrucken übertreiben und zu viel Zeit damit verbringen, sich selbst im Rampenlicht zu sonnen und dabei die Unterhaltung dominieren und anderen keinen Raum lassen.

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Anmerkung d. Ü: Der Autor verwendet für die drei Instinkt-Bereiche die Begriffe „Preserving“, „Navigating“ und „Transmitting“, für die ich o.g. Übersetzungen gewählt habe. Damit legt er etwas andere Schwerpunkte als z.B. Ebert/Rohr, die vom sexuellen, sozialen und selbsterhaltenden Grundtrieb ausgehen. Insbesondere das englische Wort „Transmitting“ (to transmit: senden, übermitteln), das aus dem technischen Bereich kommt, ist schwer zu greifen. Ich habe „kontaktorientiert“ als Übertragung dafür gewählt.
Sikora stellt außerdem fest, dass jede/r einen Instinkt besonders auslebt und nennt dies den „instinctual bias“, was ich etwas zögerlich mit „Instinkt-Neigung“ übersetze, denn eine bewusste Hinwendung zu einem Instinkt gibt es ja nicht …

Aus: Enneagram Monthly, Ausgabe April 2015, Issue 216
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Heidi Lang

Zuletzt geändert am: Nov 16 2016 um 4:31 PM

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